Sonntag, 27. November 2016

Qualen, Warten und was für ein Wetter

Vor einer Stunde hatte ich als Pilot eines einmotorigen Sportflugzeuges, einer Cessna, am Wiener Flughafen um Starterlaubnis gebeten. Der Flugleitung teilte ich mit, dass ich nach Salzburg fliegen wollte. Meinen Pilotenschein und andere Dokumente hatte man geprüft und mein Ansuchen genehmigt, mich aber gleichzeitig vor einem aufziehenden Tiefdruckgebiet gewarnt man erwartete tiefliegende Wolken, heftigen Regen und Gewitter. Das Unwetter sollte sogar zunehmen statt sich zu verzie- hen! Da mir mein Flugschein nicht gestattete, nach Einbruch der Dunkelheit zu fliegen, tte ich jedenfalls nicht vor dem Morgengrauen starten können, und jetzt war ich mir nicht mal sicher, ob ich sogar dann fliegen dürfte!
Im Warteraum, in dem ich nun ungeduldig auf das Morgenlicht wartete, hingen an der Decke ein paar fluoreszierende Röhrenlampen, deren kaltes bläuliches Licht über die spartanische Einrichtung fiel. An einer Wand stand eine lange, harte Holzbank auf die ich mich setzte, um die Zeit tot zu schlagen. Das Warten schien mir unendlich lang. Mein Blick fiel immer wieder auf eine runde,  weiße  Wanduhr  mit schwarzen  Zeigern, die sich kaum bewegten. Jede Minute glich einer kleinen Ewigkeit. Es schien mir manchmal sogar, als wäre die Uhr stehengeblieben, dann aber ckte plötzlich der Minutenzeiger  ein Stück weiter, wie um zu markieren, dass eine neue Ewigkeit begonnen hatte. Ich war furchtbar müde, erlaubte mir jedoch nicht einzuschlafen, denn ich durfte auf gar keinen Fall verschlafen.  
Aus welchem Grund saß ich eigentlich hier - in tiefer Nacht zum 19. August 1966 auf einem scheinbar leeren Flugplatz, auf die Dämmerung wartend? Der Grund hieß Isolde. Sobald es hell wurde, sollte ich sie mit meinem Flugzeug, das ich gerade zu fliegen gelernt hatte, auf einer Wiese in der Tschechoslowakei abholen und über den Eisernen Vorhang gen Westen fliegen.   
Vor sechzehn Monaten hatten wir uns in einem Zug am Ostberliner Hauptbahnhof zufällig getroffen. Drei Monate später trafen wir uns erneut, nach weiteren drei Monaten waren wir sicher ein gemeinsames Leben hren zu wollen, was viel leichter gesagt war als getan. Die Berliner Mauer war gerade mal vier Jahre alt und sah gar nicht fallfertig aus. r Isolde gab es keine Möglichkeit auf legalem Weg aus der DDR zu mir nach Schweden zu kommen. Deshalb mussten wir r sie einen Fluchtweg ausdenken.   
Viele Fragen häuften sich. Wie sollten wir unsere Idee verwirklichen? Hatten wir überhaupt eine realistische Chance auf Erfolg? Was konnten wir tun, um die Risiken zu minimieren? All dies hatten wir diskutiert und so gut wie möglich beantwortet. Im Geheimen fragte ich mich jedoch, ob Isolde, die mich letztlich ziemlich selten und meistens nur für kurze Zeit getroffen hatte, wirklich bereit war, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, nur um es mit mir zu teilen. Auch auf diese Frage hoffte ich schon bald eine Antwort zu bekommen. Bereits von Anfang an verstanden wir, wie waghalsig unser Plan war, dennoch schoben wir, wie viele anderjunge, verliebte Paare, unsere Ängste in den Hintergrund. Wir waren von Hoffnung und romantischen Tumereien, aber auch von Unruhe und Sehnsucht erfüllt. Als 26-jähriger wurde ich von einer intensiven, beinahe kindlichen Neugierde vor dem bevorstehenden Abenteuer an- gespornt. Doch jetzt, als dies bereits vor der r stand, mich draußen in der Dunkelheit herausforderte, erschien mir das Alles gar nicht mehr so verlockend. Statt mich romantischen Gefühlen hinzugeben überkam mich eine ängstliche Beklommenheit vor dem was mit uns geschehen könnte. Eine Menge unterschiedlichster Unglücksszenarien wanderten durch mein von Angst geplagtes Hirn.  
Nun hatten wir den Höhepunkt eines zehn Monate andauernden Wartens und detaillierten Vorbereitens erreicht. Trotzdem gab es noch vieles was schief gehen konnte. Vielleicht rde ich nicht mal den Platz finden, auf dem ich landen sollte. Obwohl ich das Feld selbst ausgewählt hatte, war mir doch das umliegende Gebiet größtenteils unbekannt. Ein Pilot mit einem gerade erhaltenen Flugschein kann sich leicht in einem ungewohnten Luftraum verirren. Meine praktische Ausbildung zu navigieren hatte nur ein paar Stunden gedauert, eine sehr kurze Zeit in Anbetracht der Aufgabe vor der ich nun stand. Meine vorher empfundene Begeisterung angesichts des geplanten Abenteuers hatte sich plötzlich in Luft aufgelöst. Die Herausforderung,  die bisher eine meiner Antriebskräfte war, spornte mich nicht mehr an. Ich fühlte mich unwohl, hatte ganz einfach Angst und tte am liebsten alles hingeschmissen, wenn nicht der Gedanke an Isolde, sie bald in meine Arme zu schließen und ihre warme, zarte Wange an die meine zu drücken davon abgehalten tte.   

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